Jeder kennt die Gewinner – die Nichtlinearität von Erfolg

Jeder kennt die Gewinner – die Nichtlinearität von Erfolg

Die Storys der Gewinner kennen viele. Die Geschichten der Verlierer kennen nur wenige. Doch inwieweit spielt der Zufall eine Rolle, wenn wir auf die Gewinner und Verlierer schauen? Wie sind diese extrem unterschiedlichen Wege zu erklären?

Dieser Artikel befasst sich mit unterschiedlichen Themen und Modellen des Zufalls, insbesondere der Nichtlinearität, wie sie in der Ökonomie und Wissenschaft verwendet wird. Zum Schluss wird ein Resümee gezogen, was wir als Investoren und Strebende daraus ziehen können.

Der Sandhaufen Effekt

Am einfachsten lässt sich die Nichtlinearität durch eine bildhafte Beschreibung veranschaulichen. Man sitzt am Strand in seinem Urlaubsparadies und hat nichts Anstrengendes zu tun, als im Sand zu spielen. Mithilfe von ausgeborgten Plastikspielzeug beginnt man ein Gebäude zu errichten. Es beginnt ein bescheidener, aber hartnäckiger Versuch, den Turm von Babel nachzubauen. Immer wieder wird Sand genommen und gezielt auf der Spitze verteilt. Die Babylonier bildeten sich damit ein, auf diese Weise den Himmel zu erreichen. Man selber aber will nur testen, wie hoch man bauen kann.

Irgendwann unweigerlich stürzt die Burg in sich zusammen und wird wieder eins mit dem übrigen Sand.

Man kann scheinbar meinen, dass das letzte Sandkorn für die Zerstörung des Turmes verantwortlich war. Hier werden wir aber Zeuge eines nichtlinearen Effektes. Jedes Sandkorn übt eine kleine lineare Kraft aus. Jedoch führt ein sehr kleiner zusätzlicher Input zu einem unverhältnismäßig starken Ereignis.

Im Volksmund spricht man auch gerne, vom „Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte“. Dieses nichtlineare Dynamik wird heute durch ein eigenes Sachgebiet gekennzeichnet: der Chaostheorie.

Der Begriff Chaostheorie ist aber irreführend, weil es sich zentral um Funktionen handelt, wo ein geringer Input zu einer unverhältnismäßigen (nichtlinearen) Reaktion führt. Das bekannteste Beispiel hierfür ist immer der Flügelschlag eines Schmetterlings, der woanders einen Sturm auslöst.

Bühne frei für den Zufall

Interessanter wird dieses Phänomen interessant, wenn man sich anstatt über übermäßige Zerstörung über übermäßigen Erfolg spricht. Stellen wir uns dazu vor, dass in einem Raum ein Vorsprechen für Schauspieler ist. Natürlich werden nur ganz wenige von Ihnen eine Rolle bekommen, diese stehen dann in der Öffentlichkeit für die ganze Zunft. Während hier einige durch Zufall an eine aussichtsreiche Rolle kommen und nach Bel Air ziehen, können wir uns das Schicksal der anderen Schauspieler vorstellen: Ein Leben lang in Starbucks-Filialen arbeiten oder als Taxifahrer in New York verdingen.

Man könnte argumentieren, dass Schauspieler, die an eine Hauptrolle kommen, bestimmte Fähigkeiten und Talente mit sich bringen, die anderen fehlen. Doch kann man da anderer Meinung sein. Natürlich wird er gute schauspielerische Fähigkeiten mit sich bringen, aber das werden die anderen Schauspieler, die beim Vorsprechen waren, auch haben.

Ein interessantes Phänomen des Ruhms ist die Tatsache, dass er seiner eigenen Dynamik folgt. Ein Schauspieler der von einigen Teilen der Öffentlichkeit bekannt ist, weil andere Teile der Öffentlichkeit ihn kennen. Diese Dynamik folgt einer sich drehenden Spirale.

Dieses Phänomen wird im nachfolgenden Beispiel noch einmal mit anderem Blickwinkel verdeutlicht.

Die QWERTZ – Tastatur

Forscher führen häufig als Beispiel die QWERTZ Tastatur dazu ins Rennen, um die heimtückische Dynamik der Gewinner und Verlierer zu verdeutlichen, die in Volkswirtschaften auftreten.

Die Anordnung der Buchstaben auf einer Tastatur ist besonders ungeeignet zum Tippen. Sie wurde gewählt, um ein Verklemmen der Farbbänder zu verhindern. Die Buchstaben sind so suboptimal angeordnet, dass sie uns langsamer tippen lassen.

Die Tastatur-Anordnung stammt aus einem nicht digitalem Zeitalter. Die Argumentation ist seit langem überholt. Dennoch sind jegliche Versuche gescheitert, auf eine optimale Anordnung der Buchstaben auf der Tastatur zu wechseln. Die Menschen haben aber auf der Tastatur gelernt und hingen an ihren Gewohnheiten.

Solchen Ereignissen eine rationale Logik oder Dynamik aufzuzwingen ist falsch. So etwas wird pfadabhängiges Ergebnis genannt und stellt die Mathematik vor viele Herausforderungen.

Es ist offensichtlich, dass das Informationszeitalter zu einer Homogenisiserung der Geschmäcker führte, in der die Ungerechtigkeiten deutlich spürbar sind: Wer gewinnt, bekommt fast alles.

Das wohl spektakulärste Beispiel für einen solchen Glückstreffer ist wohl Bill Gates mit seinem Softwareunternehmen Microsoft. Natürlich ist Bill Gates ein Mann mit hohen Standards, hoher Arbeitsmoral und überdurchschnittlicher Intelligenz, aber ist Microsoft wirklich die beste Software? Wohl kaum.

Die meisten, so auch ich, haben die Software, weil andere sie besitzen. Ein reiner Zirkeleffekt. Niemand hat je behauptet, dass Microsoft die beste Software hat, was viele Konkurrenten immer wieder beweisen wollen und trotzdem ums Überleben kämpfen müssen.

Polya Prozess – mathematisches Modell einfach erklärt

Ein Versuch, dieses nichtlineare Phänomen mathematisch in den Griff zu bekommen ist der Polya Prozess. Auch dieser wird hier wieder vereinfacht veranschaulicht:

Nehmen wir an, eine Urne enthält gleichermaßen weiße und schwarze Kugeln. Sie müssen vor jedem Zug raten, welche Farbe sie ziehen werden. Allerdings ist das Spiel manipuliert, und zwar folgendermaßen. Im Unterschied zu einer normalen Urne hängt die Wahrscheinlichkeit richtig zu raten von Ihren bisherigen Ergebnissen ab. Wenn Sie in der Vergangenheit richtig geraten haben, steigt ihre Wahrscheinlichkeit. Wenn Sie in der Vergangenheit falsch geraten haben, sinkt Ihre Wahrscheinlichkeit.

Wenn man so einen Prozess simuliert, zeigt sich eine ungeheure Varianz der Ergebnisse, mit erstaunlichen Erfolgen und einer Vielzahl an Misserfolgen.

Dies wird als Schiefe bezeichnet.

Wir sind für Nichtlinearitäten nicht geeignet

Unser Gehirn ist für solche Nichtlinearitäten nicht geschaffen. Die Menschen glauben, dass bei einer kausalen Beziehung zwischen zwei Variablen ein stetiger Input in eine Variable zu bei der anderen immer zu einem Ergebnis führen sollte. Unser Gefühlsapparat ist für lineare Wirkungs-Beziehungen ausgelegt. Wenn man sich beispielsweise jeden Tag mit einem Thema befasst, lernt man im Verhältnis zu der eingesetzten Zeit hinzu. Wenn man das Gefühl hat, keine Fortschritte zu machen, fühlt man sich demoralisiert. Die Realität gewährt uns aber nur selten das Privileg einer befriedigenden linearen, positiven und progressiven Entwicklung. Man kann sich ein Jahr lang mit einer Materie befassen und das Gefühl haben nichts hinzuzulernen und wenn man sich bis dahin nicht entmutigen lässt und aufgibt, kommt einem plötzlich von einem Augenblick zum anderen eine Erleuchtung.

Buridans Esel

Nichtlinearität wird bisweilen genutzt, um aus einer Sackgasse zu finden. Nehmen wir hier das Problem des nichtlinearen Anstoßes.

Stellen Sie sich einen Esel vor, der ebenso hungrig wie durstig ist und so positioniert, dass er gleichermaßen entfernt von einer Wasser- und Futtertröge. In diesem Fall würde der Esel wohl verdursten und verhungern, weil er nicht weiß, ob er zuerst zum Futter oder zum Wasser gehen soll.

Lassen wir aber den Zufall eine Rolle spielen, indem wir dem Esel einen kleinen Schubs in eine Richtung geben, der ihn einem Tröge näher bringt – gleichermaßen welchen. Dies würde ihm aus der Sackgase hinaushelfen. Unser glücklicher Esel würde zufälligerweise zuerst Durst oder zuerst Hunger stillen.

Dieses Beispiel wird Buridans Esel genannt.

Ein jeder wird diese Erfahrung schon einmal gemacht haben, in dem er sich durch einen Münzwurf aus einer Pattsituation im Leben heraus befreien wollte.

Bipolarität der Welt

Diese Bipolaritätät der Welt ist sehr hart. Entweder man erreicht ungeahnte Erfolge, in dem man praktisch alle Mittel anzieht, oder man erhält keinerlei Zulauf. Ebenso verhält sich bei Büchern. Entweder reißen sich die Leute um Bücher, genauso wie die Verleger oder niemand zeigt Interesse.

Vermutlich kann man hinter jedem Erfolg eine nichtlineare Dynamik finden und vermeintlich verschlimmert sich der Effekt im Informationszeitalter

Fazit zur Finanzindustrie

Wenn ich an die Finanzindustrie denke, sehe ich Parallelen. Oft werden uns neue Unternehmen mit Ihren Technologien und Modellen vorgestellt. Dabei wird immer die gleiche Geschichte erzählt. Diese neuen Unternehmensmodelle versprechen uns einen nachhaltigen Wandel in der Industrie und dabei werden gerne Vergleiche herangezogen, von dem neuen Facebook, dem neuen Google oder Apple. Diese emotionalen einzelnen übermäßigen Erfolge, an die sich viele Leute erinnern, werden neu kausal aufbereitet und mit einer Geschichte versehen.

Analysten erstellen Prognosen über mögliche Absatzmärkte und über die mögliche Stellung dieser Frontrunner Unternehmen. Hohe Marktkapitalisierungen, Umsätze und Gewinne werden hineininterpretiert. Die Geschichte, der Weg wird plausibel und absehbar.

Doch betrachten wir nun mit unseren Gelernten, wie stark der Zufall reinspielt und wie unterschiedlich sich die Unternehmen entwickelt haben in der Vergangenheit. Der übermäßige Erfolg, der in den Geschichten argumentiert wird, kann nicht durch einfache Ursache-Wirkungsketten frühzeitig wiedergegeben werden. Die Nichtlinearität spielt eine bedeutende Rolle

Die Frage ist nun als Investor, ob man an diesem Zufallsspiel teilnehmen möchte oder nicht.

Genauso in gleicher Weise sollte man auch bei der Betrachtung und Beurteilung von Erfolg und Misserfolg von Persönlichkeiten, Bekannten, Freunden und sich selber Vorsicht walten lassen.

Bernd

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